Claudias Welt

Die Sache mit dem Lebenslauf

Geschrieben von Claudia | Jun 9, 2021 1:37:00 PM

Oh weh, Annalena Baerbock, da scheinen Sie ja wirklich einen Bock geschossen zu haben. Gerade eben noch als allererste Kanzlerkandidatin der Grünen auf der Überholspur und nun das.

 

Der Blätterwald rauscht. Nachdem Frau Baerbock seit Wochen auf einer Welle der Sympathie reiten konnte, kann man nun zum ersten Mal Kritik in den Medien vernehmen. Zwar sind linientreue Medienerzeugnisse wie der Spiegel und die Süddeutsche Zeitung eifrig dabei, eine Verteidigungslinie aufzubauen, aber der Stein ist nun mal ins Rollen gekommen. Was genau bringt sie denn nun eigentlich in Bedrängnis?

 

Durch die Nominierung als Kanzlerkandidatin rückte sie mehr in den Fokus der Öffentlichkeit und es wird genauer hingeschaut, als bei einer Frau Baerbock, die "nur" Bundestagsabgeordnete und Vorsitzende der Grünen ist. Und so kam es, wie es kommen musste: Es wurden Unstimmigkeiten im Lebenslauf entdeckt.

 

Eine Mitgliedschaft in einer Organisation, bei der man nicht Mitglied werden kann. Daten, die nicht stimmen, die Bezeichnung als Völkerrechtlerin ohne Staatsexamen und warum hat sie eigentlich einen Masterabschluss, ohne einen Bachelor gemacht zu haben? Die Empörung ist groß. Vor allem, da anstatt Einsicht zu zeigen, eine Schmutzkampagne vermutet wird. Selbst vermeintlicher Sexismus wurde bereits zur Abwehr  aufgefahren. Dabei wäre der Fehler vermeidbar gewesen und selbst die Abwehr hätte man sorgfältiger aufbauen können.

 

Zunächst sollte man natürlich vermuten, dass ein Wahlkampfteam den Background eines Kandidaten auf Herz und Nieren prüft, bevor man diesen ins Rampenlicht der Öffentlichkeit stellt. Zumindest den Lebenslauf hätte man berichtigen können, um keine Angriffsfläche zu bieten. Dass dies unterblieben ist, kann zwei Gründe haben. Zum Einen würde ich als Wahlkampfleiter natürlich auch nicht glauben, dass eine Kandidatin einen unrichtigen Lebenslauf in die Öffentlichkeit stellt. Etwas Selbstverantwortung kann man schließlich erwarten. Der andere Grund ist in der Definition dessen zu finden, was veröffentlicht wurde.

 

Tatsächlich wurde der Lebenslauf nun schon mehrmals als CV bezeichnet. Nun ist die Bezeichnung "Curriculum Vitae" zwar grundsätzlich auch für einen Lebenslauf richtig, aber da Annalena Baerbock in London studiert hat, könnte es auch sein, dass sie im Rahmen des Studiums auch auf die angloamerikanische Form des Lebenslaufs getroffen ist. Eben einen CV.

 

Vergleichen kann man die beiden Formen auch nur bedingt. Während in Deutschland in der Regel lückenlose tabellarische Lebensläufe verlangt werden, die man auch noch per Unterschrift in eine Urkunde verwandelt, ist man im angloamerikanischen Raum gestaltungsfreier. Tabelle kann man verwenden, ist aber kein Muss. Farbe, Schriftart, alles frei wählbar. Einige Inhalte, die für deutsche Lebensläufe vorgeschrieben sind, sucht man im CV vergebens. Ohne Foto, Geburtsdatum, Angabe der Familie oder der Religion fällt man bei deutschen Personalern direkt durch, Recruiter, die den CV anschauen, würden sich die Augen reiben, wenn man diese Informationen einfügt.

 

Selbst die Lückenlosigkeit ist bei einem CV kein Qualitätsmangel. Im Gegenteil würde sich kein Recruiter auf Fehlzeiten stürzen, so lange aus dem Rest hervorgeht, dass man ein geeigneter Kandidat für einen Job ist. Noch eklatanter wird der Unterschied bei einem Resumé, der vor allem in den USA Verwendung findet, aber auch im weiteren angloamerikanischen Raum immer beliebter wird. Wie der Name schon sagt, fasst man sei Leben und Wirken zusammen, anstatt es langwierig aufzulisten und auszubreiten.

 

Natürlich darf man weder im Lebenslauf, noch in CV und Resume lügen. Ausschmückungen sind in letzteren aber normalerweise kein großes Problem, zumal die Jobbezeichnungen selbst oft schwammig genug sind. Ein "Customer Support Engineer" ist nicht ungewöhnlich und würde in Deutschland wohl eher unter "Kundendienstberater" oder gar "Callcentermitarbeiter" laufen. Mitgliedschaften in (gemeinnützigen) Vereinen und Ehrenämter sind gewünscht, während man so ein Engagement in Deutschland oft sogar negativ wertet.

 

In einem CV sind die Angaben, die Annalena Baerbock gemacht hat, also völlig legitim. Ich persönlich habe auch hochtragend "Mapping Volunteer for Doctors without Borders" im CV stehen. Im Endeffekt klicke ich am heimischen Computer ab und zu mal auf einer Landkarte herum. Klar ist das auch etwas, was gebraucht wird, aber in einen deutschen Lebenslauf würde ich es nicht schreiben.

 

Auch dass sie einen Master ohne vorherigen Bachelor gemacht hat, ist halt so. Wenn im Ausland ein Vordiplom als Vorleistung anerkannt wird, ist das doch okay. Ein ehemaliger Arbeitskollege von mir hat an der Universität in Cork ein Studium begonnen. Mit qualifizierendem Hauptschulabschluss als höchstem Bildungsabschluss. Es ist halt schwierig, die verschiedenen Systeme miteinander zu vergleichen.

 

Für Annalena Baerbock hätte ich den Rat, sich offensiver zu verteidigen, was das angeht. Einfach sowas wie "Während meines Studiums in London habe ich mir angeeignet, auch meinen Lebenslauf in Form eines angloamerikanischen CV anzulegen. Das habe ich auf der Webseite eventuell nicht deutlich genug gekennzeichnet, wodurch der Eindruck entstanden ist, dass es sich um einen Lebenslauf handelt." Natürlich könnte man das immer noch kritisieren, aber den Kritikern wäre auch deutlich Wind aus den Segeln genommen worden.

 

(Bild photocosmos1/Shutterstock)